Mit dem neuen ISO Standard PDF/UA ist erstmals ein praxistauglicher Standard für Barrierefreiheit bei layout-orientierten Dokumenten verfügbar. Ein oft noch unterschätzter Mehrwert mit großem Nutzen für alle Benutzer ist die Tatsache, dass dieser Standard gleichzeitig die maschinelle Erschließung solcher Inhalte ermöglicht. 2013 feierte das „Portable Document Format“ (PDF) sein 20-jähriges Bestehen. Wesentlich zum Siegeszug beigetragen hat dabei dessen namensgebender Anspruch auf Portierbarkeit. PDF garantiert bei korrekter Verwendung eine unveränderte Ausgabe des Dokuments, egal unter welchen Ausgabebedingungen.

Vor der Maxime des „anything, anytime, anywhere“, der Darstellung beliebiger Inhalte in jeder Ausgabesituation, wird ebendiese visuelle Integrität zunehmend als Hindernis empfunden. Eine Bedienungsanleitung in einem mehrspaltigen, fixen Seitenlayout erscheint auf einem Smartphone nicht wirklich smart. PDF/UA eröffnet nun erstmals die Vision, auch für die Druckausgabe optimierte Dokumente in Abhängigkeit ihres Anzeigekontexts auszugeben.

Barrierefreies Publizieren

Parallel zu diesem Mobilitätsanspruch wächst mit steigender Nutzung digitaler Inhalte über das Internet die berechtigte Forderung nach Teilhabe aller Menschen an der Informationsgesellschaft. Besonders vor dem Hintergrund einer pluralistischen Gesellschaft sowie der Umkehrung der Alterspyramide wird unter dem Oberbegriff der Inklusion der Anspruch formuliert, niemanden aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen von der Teilnahme an der Informationsgesellschaft auszuschließen. In Übereinstimmung zu den Grundkriterien der Technischen Dokumentation stehen die wesentlichen Aspekte von Barrierefreiheit: Zugänglichkeit, Einfachheit und Benutzerorientierung. Hinzu kommt der Aspekt der Robustheit, der Anspruch also an ein Verfahren, auch unter ungünstigen Bedingungen noch zuverlässig zu funktionieren.

Dieser Anspruch auf Zugänglichkeit wird durch Datenstrukturen sichergestellt, welche eine maschinelle Unterstützung bei der Ausgabe von Inhalten erlauben. Schlüsselrolle dabei bilden Assistive Technologien, wie beispielsweise Screenreader, welche die Inhalte aus barrierefrei aufbereiteten Dokumenten in gesprochene Sprache für blinde oder sehbehinderte Nutzer übersetzen.

ISO-Standard als Orientierung

Alle genannten Aspekte können nun auch von PDF-Dokumenten erfüllt werden. PDF/UA, das „Portable Dokument Format for Universal Accessibility“, steht für universelle Zugänglichkeit für alle.

Seit einiger Zeit ist der neue ISO-Standard für barrierefreie PDF Dokumente unter der offiziellen Bezeichnung „ISO 14289-1. Document management applications – Electronic document file format enhancement for accessibility – Part 1: Use of ISO 32000-1 (PDF/UA-1)“ verfügbar. Basierend auf dem ebenfalls zertifizierten PDF-Standard 1.7 (ISO 32000-1) werden darin erstmals verbindliche technische Standards zur Beschaffenheit barrierefreier PDF-Dokumente spezifiziert.

Die ISO-Norm, welche seit Juli 2013 namensgleich auch beim DIN in einer deutschen Übersetzung als Entwurf vorliegt, ist jedoch kein Leitfaden für die praktische Anwendung im Alltag. Der Standard bildet vielmehr die Grundlage für eine zertifizierbare Erstellung, Verarbeitung und Prüfung barrierefreier PDF-Dokumente.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Als Pendant zu den internationalen Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG 2.0) ist in Deutschland mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) sowie der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) ein wohldefinierter normativer Rahmen für die Barrierefreiheit von elektronischen Inhalten gegeben. Mit PDF/UA wird nun die existierende Lücke für Dokumente geschlossen, welche entweder originär aus printorientierten Prozessen oder gar aus der Retrodigitalisierung von Papierarchiven entstehen.

Technische Anforderungen

Die Norm beschreibt auf 24 Seiten die Mindestbedingungen, welche PDF-Dokumente für die Zertifizierung zur Barrierefreiheit aufweisen müssen. Als Referenz ist die Norm aktuell besonders für die Entwickler von Werkzeugen zur Prüfung von PDF-Dokumenten nach dem neuen ISO-Standard unverzichtbar. Gegenstand der Normierung ist also eine weit über die visuelle Ausprägung von PDF-Dokumenten hinausgehende logische Dokumentstruktur, welche in Form von unsichtbaren Tags Zusatzinformationen über die sichtbaren Inhalte gibt. Erinnernd an die aus XHTML bekannte Syntax werden dabei beispielsweise Überschriften, Listen und Bildbeschreibungen mit Metainformationen klassifiziert.

Diese prüfbaren Bedingungen sind im Wesentlichen:

  • Klassifizierung sämtlicher Inhaltselemente als Artefakt oder Bedeutungsträger
  • Auszeichnung mit semantischen Tags nach dediziertem Rollenschema
  • Eindeutige, sequentielle Gliederung sämtlicher Inhalte in logischer Lesereihenfolge
  • Metadatenindexierung durch Dokumenttitel
  • Sprachauszeichnung sämtlicher Inhaltselemente
  • Alternative Textbeschreibungen für bedeutungstragende visuelle Inhalte

Anwendung heute

Die lange fehlende Festlegung eines einheitlichen Qualitätsstandards hat in der Vergangenheit zur zögerlichen Unterstützung von „Tagged PDF“ durch die Softwarehersteller geführt. Einzig Adobe FrameMaker unterstützte seit Version 5 die Erstellung strukturierter PDF-Dokumente. Heute sind alle führenden Layoutprogramme in der Lage, getaggte PDF-Dokumente auszugeben – oftmals mit Unterstützung durch Lösungen von Drittherstellern (s.a. Infokasten). Besonders hervorzuheben ist hier der Aspekt der Erzeugung strukturierter und vor allem validierbarer Daten aus unstrukturierten Arbeitsprozessen. So können dank templatebasierter Arbeitweise auch aus Office-Anwendungen valide PDF/UA-Dokumente erzeugt werden, da die Klassifizierung durch Absatzformate sowie die eindeutige Textflußorientierung ausreichend für eine durchgehende Dokumentstruktur ist.

Screenshot von Adobe Acrobat mit Anzeige der Tag-Struktur

Abbildung 1: Darstellung der Tagstruktur in Adobe Acrobat

In Adobe Acrobat lässt sich diese logische Dokumentstruktur über die Navigationsregisterkarte „Tags“ anzeigen und bearbeiten. Diese muss bei erstmaliger Verwendung über das Kontextmenue aktiviert werden. Die Tags entstehen bei Aktivieren der Option „PDF mit Tags erstellen“ (in FrameMaker „Tagged PDF“) durch Übernahme der Formatbezeichnungen aus den Layoutprogrammen. Eine wie in Abb. 1 dargestellte Standardisierung der Tagnamen ist nach PDF/UA-Spezifikation nicht zwingend erforderlich, jedoch empfehlenswert, da nicht alle Screenreader die ebenfalls hinterlegten Tagrollen korrekt auswerten.

Ebenfalls integriert in Acrobat XI ist eine Prüfung der Dokumente auf die oben genannten Eigenschaften. Die vollständige Barrierefreiheitsprüfung erstellt einen Bericht im Format HTML, welcher in zertifizierten Workflows auch als Anhang zum PDF-Dokument weitergegeben werden kann. Einzelne Aspekte, wie bspw. die Zuweisung der Dokumentsprache, oder einzelne fehlende Alternativtexte, lassen sich komfortabel direkt über das Kontextmenue korrigieren. Damit ist die manuelle Nachbearbeitung von PDF-Dokumenten zwar möglich – z.B. bei fehlenden Ausgangsdaten – jedoch in der Regel aufwändig und bei sorgfältiger Vorbereitung der Dokumentstruktur im Layoutprogramm auch vermeidbar.

Unbedingt empfehlenswert ist die abschließende Prüfung mit PDF Accessibility Checker. Das von der „Stiftung Zugang für alle“ kostenlos bereitgestellte Programm prüft in der neuen Version 2 als weltweit erstes Tool die vollständige Konformität von Dokumenten nach dem PDF/UA-Standard (s.a. Abb. 2). Ebenso ist damit die Erstellung eines Berichts sowie einer Vorschau möglich.

Screenshot des Tools PDF Accessibility Checker 1.2

Abbildung 2: Prüfung auf Barrierefreiheit mit PAC

Screenshot der logischen Dokumentstruktur einer PDF aus pdfGoHTML im Browser

Abbildung 3: Darstellung der logischen Dokumentstruktur im Browser mit pdfGoHTML

Ausblick

Alle führenden Standardwerkzeuge unterstützen heute die Erstellung strukturierter PDF-Dokumente (s.a. Infokasten). Verbesserte Tools zur Prüfung (wie PAC 2.0) werden in naher Zukunft auch in prozessorientierten Workflows verfügbar sein. Damit schafft PDF/UA die Vision, aus einem einzigen elektronischen Format alle Ausgabebedingungen zu unterstützen. Durch eine semantisch strukturierte Aufbereitung von Inhalten auch aus „unstrukturierten“ Produktionsumgebungen ergeben sich somit völlig neue Anwendungsszenarien für eine geräteunabhängige Aufbereitung von Dokumenten. Werkzeuge wie das kostenlose Acrobat-Plug-in pdfGoHTML geben einen Ausblick, was technisch möglich ist: eine geräteoptimierte Darstellung barrierefreier PDF-Dokumente auf miniaturisierten Endgeräten – „Responsive Publishing“ dank PDF/UA.

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